Schmerz der Vergangenheit, Magie des Jetzt, Traum der Zukunft
Hast du dein Leben im Griff? Ich erzähle wie viel geschehen ist, wie wir oft mitten in der Bewältigung stecken und das Leben einfach weiter läuft...
Christina B.
Hast du dein Leben im Griff?
Es war wohl vor ein paar Wochen... Da hat mal wieder meine angeborene tolle Klugscheisser-Seite überhand gewonnen. Ich bin in eine Unterhaltung geraten, die sich so entwickelt hat, dass mich der Inhalt eigentlich gar nicht mehr tangierte. Trotzdem gab ich meinen Senf dazu und die Reaktion kam prompt: „Krieg erst mal dein Leben in den Griff bevor du anderen Ratschläge erteilst.“ Heute muss ich bei der Erinnerung daran tatsächlich über mich selber lachen und gleichzeitig hat es mich zum reflektieren angeregt.
Mir wurde klar, dass mein Leben zeitweise sicherlich so aussehen muss, als wäre da Chaos pur. Ja, manchmal fühlt es sich wirklich so an. Aber liebe Leute, ab wann hat man denn eigentlich das Leben im Griff? Und... muss man es denn im Griff haben oder wäre es auch okay wenn man die Kontrolle zwischendurch abgibt und das Leben leiten lässt? Letzteres stelle ich mir etwa vor wie ein Segelschiff auf dem Meer. Man kann das Ruder in die Hand nehmen und lenken. Man kann auf den passenden Wind warten. Man kann den Motor – wenns einen gibt – einstellen und selber loslegen. Oder man lässt sich einfach umhertreiben. Oder.... man wird von äusseren Umständen, beispielsweise einem Sturm, dominiert und kann sich erst wieder orientieren wenn sich dieser gelegt hat.
Mein Segelschiff befand sich bis vor 6 Jahren in einigermassen ruhigen Gewässern... Ab und zu ein Lüftchen, mal ein Raubfisch etwas nahe am Boot, mal eine unruhige Nacht. Ansonsten aber ein geregeltes Leben. Ein Mann, ein Töchterlein, ein Job und schwanger mit Wunder Nr. 2.
Mit der Geburt des Sohnemanns zogen jedoch dunkle Wolken auf und schon bald entwickelte sich ein regelrechter Sturm daraus. Mein Lebensboot kippte und ich schluckte ganz schön viel Salzwasser, als ich erfahren habe, dass mein 3-Monatiger schwer krank war. Tumor im Schädelknochen, grosse Operation folgte. Nur wenige Monate später ein Rückfall, worauf es weitere Eingriffe gab. Es wurden 10 in seinem ersten Lebensjahr. Und dann... endlich zu Hause. Endlich ruhige See... dachte ich. Der Kleine brauchte wegen seinen Entwicklungsrückständen viel Betreuung, Pflege, Therapie. Die Beziehung zu meinem damaligen Mann war durchzogen von Streit und Krisen, dies neben der Belastung der Kinder und den Sorgen. Ich wollte wieder arbeiten und begann mit kleinem Teilzeitpensum. Kaum angefangen, überfiel eine Pandemie die Welt... ein paar Wochen später stand ich wieder ohne Arbeit da. Was nun? Hat der Beruf als Fotografin überhaupt noch Zukunft? Wie entwickelt sich die Pandemie? Ich entschied, mich neu zu orientieren und begann die Ausbildung zur Body'n brain Trainerin. Während die Schwierigkeiten in der Beziehung nicht weniger wurden, machten wir uns dennoch zur Aufgabe meine Schwiegereltern aus dem Krieg zu retten, was mit viel Kraftaufwand glücklicherweise gelang. Einige Wochen lebten sie bei uns, bis sie zu ihren anderen Kindern weiterzogen. Neben Ausbildung, Kleinkindern und der intensiven medizinischen Nachsorge des Juniors, spitzte sich die familiäre Situation zu. Es ging immer weniger miteinander. Der Sturm wollte sich einfach nicht mehr legen. Es warf mich erneut über Bord. Mit viel Salzwasser im Magen begann ich zu schwimmen in der rauen See... Oft sah ich das Boot nicht mehr und auch Land war weit und breit nicht in Sicht. Ich wusste nicht wohin. Ich versuchte verzweifelt die Kinder im Rettungsring zu halten, hoffte und betete, dass der Sturm sich legte. Doch er dauerte an. Bis ich unterging... Vielleicht war es das viele Salz im Magen der letzten Jahre. Ich wurde krank. So krank, dass ich es nicht mehr geschafft habe, am morgen für meine Kinder aufzustehen. Wenn ich es doch versuchte, verspürte ich ein Stechen im Kopf und einen Schwindel der mich zu Boden sinken liess. Das Leben zwang mich in die Knie...
Dieser Tag war der Beginn einer Wende. Jetzt musste ich etwas ändern. Ich verstand, dass meine sterbende Ehe nicht mehr zu retten war. Langsam begann ich mich aus der Misere zu bewegen. Als ich die Entscheidung für mich getroffen habe, wurde ich wieder gesund... ich machte mich auf die Suche nach einer Wohnung. Die See wurde ruhiger. Ich war jedoch immer noch im Wasser, mir war schlecht und das Boot sah ich auch nicht. Aber Land war in Sicht. Dahin werde ich schwimmen, um wieder festen Boden unter den Füssen zu haben. Nach einiger Zeit erreichte ich endlich das Land. Das flaue Gefühl im Magen blieb. Das Gefühl versagt zu haben... auf ganzer Linie. Als Mutter, als Frau, als Mensch. Alles was man seinen Kindern bieten möchte; Gesundheit, Friede, Liebe und Familie... nichts davon konnte ich erfüllen.
Wie ein Geschenk des Himmels fiel mir genau zu dieser Zeit die Epigenetik Ausbildung in die Hände. Sie war ein enger Begleiter während der Trennungszeit, lieferte mir viele wertvolle Werkzeuge und brachte neue Menschen in mein Leben, die heute nicht mehr wegzudenken sind. Da stand ich nun... an Land, aufrecht und doch irgendwie noch unfähig mich fortzubewegen. Alles was ich aufgebaut habe in den letzten Jahren, war nur noch ein Scherbenhaufen unter meinen Füssen. Und es schmerzte. Trotzdem bleibt die Zeit nicht stehen... ich musste arbeiten um überleben zu können. Kein Jahr verging – die Kinder und wir Eltern gewöhnten uns gerade an die neue Situation des Getrennt-Lebens – da wurden weitere Operationen bei unserem viereinhalb Jährigen notwendig. Wieder eine lange Spitalzeit. Wieder Ausnahmezustand. Wieder Abschiebung meiner Tochter zu meinen Eltern. Ich stand doch gerade noch mit festem Boden unter den Füssen, da erfasste mich eine mächtige Welle und zog mich zurück ins Meer. Nach Luft schnappend, Salzwasser schluckend, ging ich wieder durch diese Situationen. Den Rettungsring meines Sohnes fest umklammert, musste ich ihn schweren Herzens den Chirurgen ausliefern. Einmal mehr der Moment... In dem ich den Kleinen mit lieben Worten in die Narkose begleitete und mich wirklich bemühte, mir nicht anmerken zu lassen, wie es mir das Herz zerriss. Auch dieses mal folgten Komplikationen. Woche um Woche bangten wir um seinen Zustand. Immer musste neu organisiert werden, bis wir endlich wieder nach Hause durften. Alles stand auf sehr wackligen Beinen. Die Gesundheit des Sohnemanns, die Verfassung der Tochter, die Sicherung des Lebensunterhalts. Ich hatte keine Chance neben der Pflege des Juniors, noch arbeiten zu können. Aber ja... ich war mir bereits gewohnt zu schwimmen, auch mit Salzwasser im Bauch. So wurde ich kreativ und konnte den Kindern und mir mit einem Crowdfunding – also dank der unglaublich grosszügigen Unterstützung von vielen Menschen – eine Auszeit verschaffen. Meine Crowd zog mich buchstäblich aus dem Wasser, an Land, gab meinen Kindern und mir ein Dach über dem Kopf, zu Essen, alles was man zum überleben braucht.... und Zeit... Zeit zum verarbeiten, Verbindung finden, heilen. Eines der grössten Geschenke meines Lebens.
Ja nun... habe ich das Leben im Griff? Ich denke in den letzten Jahren hat das Leben mehr mich im Griff gehabt. Und dennoch... trotz oder vielleicht gerade wegen Krankheit, Trennung und Scherbenhaufen, waren die letzten Jahre diejenigen, welche mich am meisten zu mir selber brachten, mich lehrten und wachsen liessen. Stürme helfen, sich zu entwickeln, fördern Kreativität und Urvertrauen. Sie machten mich zum Profischwimmer, Salzbauch-Entgifter, Menschen-Analysierer und Lösungsfinder. Trotzdem hätte ich nichts dagegen, wenn die See nun etwas ruhiger bleibt.
Denn die Kreation des Lebens fliesst am besten aus einem ruhigen Inneren. Vielleicht kennt ihr das, wenn man nach bestimmten Ereignissen einfach nicht mehr ins alte Leben zurück kann. Es ist die Magie des Jetzt. Der Moment in dem sich Neues abzeichnet und immer deutlicher erkennbar wird. Und das habe ich nicht im Griff, es entsteht einfach und natürlich. Es ist wie ein Hand-in-Hand-Gehen mit dem Wind, der in die Segel meines Schiffes bläst... als hätten wir gemeinsam die Richtung festgelegt.
Es wird sich zeigen wohin es führt, ob die Richtung stimmt oder ändert... erneut ein Sturm aufkommt oder sich andere Schiffe dazu gesellen. Womit wir beim Zukunftstraum angelangt wären.
Egal welche widrigen Umstände einem begegnen - wenn Menschen hier sind, die helfen, Anteil nehmen, zuhören, unterstützen oder einfach nur da sind, dann ist es einfacher die Hürden zu nehmen. Darauf hoffe ich, dass die Menschen immer mehr zueinander finden... im Bewusstsein, dass jeder von uns seinen Rucksack trägt, dessen Inhalt man oft nicht kennt. Dass Menschen den Mut finden von ihrem Inhalt zu erzählen, um Verständnis und Mitgefühl zu empfangen. Dass Menschen ihren Inhalt selber genau anschauen, um Wunden zu heilen und Verantwortung für das eigene Leben zu übernehmen, für ein friedliches Zusammensein.
Ich würde meinen, nun habe ich genug von meinem Rucksack erzählt :-) in den folgenden Blog-Beiträgen geht der Fokus weg von mir, das soll hier keine Ego-Story werden. Es folgen mehr Themen, die mich und die Allgemeinheit beschäftigen...
In dem Sinne – schau dass du dein Leben im Griff hast ;-) und bis bald!
Christina Baker
5416 Kirchdorf AG
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